Alexei Makartsev: Im Haus der fünftausend Zimmer

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Extra: Mind the Gap, Darling!

“Mind the Gap”: Eine Liebesgeschichte

LONDON. Die Mitarbeiter der Londoner U-Bahn-Station Embankment sahen oft die sanfte Frau mit der randlosen Brille und den grauen Haaren. Sie kam sechs Jahre lang hierher, um auf einer Bank zu sitzen. Züge hielten und fuhren davon, doch Margaret McCollum stieg nicht ein, sondern sie beobachtete lediglich die aussteigenden Menschen und lauschte der lauten Ansage von Band, die vor dem Spalt zwischen Wagen und Bahnsteig warnte: „Mind The Gap!“. Manchmal erhellte ein Lächeln ihr Gesicht. Die 65-jährige Londonerin kannte bestens diese kräftige, dunkle Stimme, die zu ihr alleine zu sprechen schien. Bis sie eines Tages plötzlich verstummte.

Es ist eine einfache, bewegende Liebesgeschichte. Eine britische Ärztin verliebt sich 1992 auf einer Urlaubsreise nach Marokko in einen gut aussehenden Reiseführer. Oswald Lawrence ist ein früherer Schauspieler, der in den 60er Jahren kleinere Rollen in Kino- und Fernsehfilmen gespielt hat. In den 90ern erinnern sich nicht mehr viele an seinen Namen, doch Hunderttausende Menschen hören weiterhin täglich seine Stimme: „Mind the Gap!“ Die Londoner „Tube“ lässt seit 1969 die Reisenden vor dem berühmt-berüchtigten Spalt warnen, und Lawrence ist einer der wenigen Menschen, die die weltberühmte Ansage vertonen durften. McCollum heiratet ihren Mann und lebt mit ihm glücklich im Norden der Metropole, bis der 80-jährige Brite 2007 an den Folgen einer Herzkrankheit stirbt. Es ist ein großer Verlust für Margaret, die fortan oft in den Untergrund steigt, um ihren Oswald zu hören und Trost zu finden.

Mind the Gap! (Audio, Bank Station)

Doch die Digitalisierung der ältesten U-Bahn der Welt schreitet voran, und der verstorbene Schauspieler ist immer seltener auf der Northern Line zu hören - bis am 1. November 2012 auch Embankment als letzte Station die vertraute Stimme abschaltet und durch eine sterile Computer-Ansage ersetzt. Margaret ist entsetzt. Die Witwe schreibt der Transportbehörde Tfl einen Brief mit der Bitte, eine Kopie der alten „Mind the Gap“-Aufnahme als Andenken an ihren Mann zu erhalten. Die CD trifft kurz vor Weihnachten ein. Unerwartet bekommt die Pensionärin jedoch vom Chef der London Underground ein weiteres Geschenk. Nigel Holness ist von Margarets Geschichte so gerührt, dass er seine Techniker anweist, die akustische Änderung auf der zentralen Strecke wieder rückgängig zu machen.

Am vergangenen Donnerstag war Oswald Lawrence erstmals seit Monaten wieder in der Station an der Themse zu hören, und McCollum freute sich über ein Happy End. Angeblich kann die nostalgische Aufnahme aus den 60ern zurzeit wegen „technischer Schwierigkeiten“ nicht permanent abgespielt werden. Doch Tfl arbeitet nach eigenen Worten an einer dauerhaften Lösung.


Text, Ton und Bilder: Alexei Makartsev


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