Englische Eigenarten in Gefahr! Zwar bleiben die Ritterturniere (hier in Hampton Court) populär...In meinem englischen Dorf, dessen Name „Schinken“ bedeutet, steht ein rollendes Monster. Pink, mit schwarzen Fenstern und so lang, dass es beim Abbiegen die engen Südlondoner Straßen verstopft. „Wer um Himmels Willen wird im Schinkendorf eine Stretchlimousine fahren“, habe ich mich immer gefragt. Dann fand ich es heraus: Kichernde, kostümierte Mädchen in sündhaft teuren Seidenkleidern. Im Sommer schrieben die Zeitungen, dass sämtliche Stretchlimos des Landes für den Transport von Teenagern aus den Schulen oder direkt aus den Schönheitssalons zu den „Proms“ ausgebucht gewesen seien. Die "Proms" sind die pompösen Abi-Bälle, die die guten alten Schulabschlussdiskos abgelöst haben. „Oh no!“, sagt der gemeine Engländer. „Noch so eine blöde Ami-Tradition, die wir nicht haben wollen!“. Tja, zu spät.
God save the Queen! Denn England geht unter. Nicht buchstäblich, obwohl auch dieser verregnete Sommer wieder Schwimmhäute auf unseren Füßen wachsen ließ. Ich meinte aber die Kultur. Englische Bräuche und Eigenarten sterben langsam aus, dafür wird die Insel so amerikanisch, polnisch und pakistanisch wie nie zuvor. Der fleißige Bestatter aus dem Nachbardorf mit dem Familiennamen „Truelove“, hätte alle Hände voll zu tun, müßte er neben seinen toten Kunden noch eine leblose britische Tradition nach der anderen zu Grabe tragen. Ich liste hier nur ein paar auf: Blühende Gärten (in denen jetzt oft Karotten statt Rosen wachsen), brennender Christmas-Pudding in Brandy zu Weihnachten (stattdessen essen die Engländer gerne deutschen Stollen), Pubs (vier schließen im Schnitt täglich), rote Telefonzellen (68000 geblieben, 1999 waren es noch 140 000), die Gentlemen (unglaublich, aber selbst die soliden Abgeordneten dürfen sich jetzt offiziell in der Parlamentskantine vordrängeln) und der Londoner Cockney-Dialekt (in dem Kenner zunehmend jamaikanische und chinesische Töne und Wörter ausmachen).
...dafür verschwinden jedoch die nicht länger gebrauchten roten Telefonzellen (hier ein Denkmal
für die weltberühmte Telekommunikations-Ikone in Kingston Upon Thames)...Lebewohl, du rätselhafte Ur-Sprache der Metropole, in der „sausage and mash“ Cash bedeutet und „rattle and tank“ die Bank. Im Osten Londons gibt es noch ein paar Cockney-Geldautomaten, die ihre Benutzer nach dem „Huckleberry Finn“ (Pin) fragen, ehe sie ein paar „gefleckte Hühner“ („speckled hens“ = „ten“, also einen Zehner) ausspucken. Nein, mein Herz hängt keineswegs am Cockney-Kauderwelsch. Als Ausländer bin ich froh um jeden Briten, mit dem ich leicht kommunizieren kann. Leider fühlt man sich auf dieser Insel manchmal völlig aufgeschmissen.
Ein Beispiel: Das Internet hängt. Ich wähle die Virgin-Servicenummer und lande irgendwo in Bangalore. Es könnte aber auch das walisische Cwrtnewydd sein. Egal. Tatsache ist, dass der Russe an dem einen und der „Wazzeeproblem?“-Mann an dem anderen Ende der Leitung einander nicht verstehen, obwohl sie die gleiche Sprache sprechen. Nach dem zehnten „sorry?“ gebe ich auf und bitte den hilflosen Helfer, mir eine E-Mail zu schreiben. Mist, geht ja nicht ohne das Internet. „Leave that with me“ ("Überlassen Sie das mir"), sagt der Mann gaaanz langsam und betont, ehe er sich schnell verabschiedet. Meine Laune sinkt. Wenn man diesen Satz in England hört, kann man sicher sein, dass gar nichts passieren wird.
Ich habe vor britischen Call-Centren mehr Angst als vor dem Zahnarzt, der Bakerloo-Linie der Tube (die im Sommer die Pendler bei plus 35 Grad in zehn Minuten gar kocht) und der Werkstatt im "Schinkendorf", die an meinem Auto immer etwas findet. Zuletzt hatte der Mechaniker behauptet, ich hätte die Blinker-Glühbirnen falsch eingeschraubt. Ha, ha! Der Mann hat mir dafür knapp 100 Pfund abgeknöpft. Immerhin habe ich ihn gut verstanden. Bei den Call-Centren kommt es indes darauf an, wo man landet. Manchester geht noch. Bei den “scousers” (Liverpooler) muss man sich schon sehr konzentrieren. Höre ich einem Ureinwohner von Newcastle zu, treten Schweißperlen auf meine Stirn. Jemanden aus Glasgow zu verstehen, ist etwa so schwer, wie mit Bleistift und Papier an einem Nachmittag den deutschen "Enigma"-Code aus dem Zweiten Weltkrieg zu knacken. Im westirischen Limerick ist es einfach aussichtslos.
...und nicht einmal Prince Charles, oberster Hüter der britischen Traditionen, kann dagegen etwas ausrichten (hier der private Parkplatz des künftigen Königs in London). Fotos: almSei es drum. Das Problem ist jedoch, dass auch London als weltgrößter ethnischer Schmelztiegel mit Menschen aus 182 Staaten, die etwa 300 Sprachen sprechen, immer unverständlicher klingt. Ade, du wohlklingendes BBC-Englisch. Hallo, du seltsames “Jafaican” – ein Sprachcocktail aus Jamaika, Bangladesch, Australien und Westafrika mit englischen Elementen, das etwa so klingt: „What ends you from? Rah, das nuff nang“. Soll heißen: "Wo kommst du her? Das ist echt klasse".
Die Briten sind mittlerweile so besorgt um den Erhalt ihrer Sprache, dass sie zur Olympiade-2012 das weltweit erste Englisch-Museum in Winchester eröffnen wollen. Dessen Besucher werden beispielsweise erfahren, dass die „lingua franca“ eine Million Worte enthält, wobei ein Durchschnittsbrite nur 60 000 kennt und 40 000 aktiv benutzt. Bald könnte der Wortschatz der Inselbewohner noch mehr schrumpfen. Die Politiker in Westminster wollen nämlich Ausdrücke wie „black sheep“ (schwarzes Schaf) oder „gentleman’s agreement“ aus dem Sprachgebrauch bannen, weil sie diskriminierend seien – den Schwarzen und den Frauen gegenüber. Auch „right-hand man“ (jemandes rechte Hand) und „ethnic minority“ (ethnische Minderheit) könnten tabu werden, damit sich Linkshändler und Malaysier im Königreich nicht minderwertig fühlen.
Echt „nuff deep“. Verzeihung, ich wollte sagen: Wirklich furchtbar!