Süße Leckereien gehören zum Nachmittagstee in London. Fotos: Makartsev„Ladies and Gentlemen, wie sind Ihre Sandwiches?“ Meine Frau und ich – sonst sitzt keiner mit am Tisch – schauen einander prüfend an. Nun, ja. „Ähm, gut“, stammele ich. In Wahrheit sind die Sandwiches pappig, wie überall in England. Doch das würden wir als Gäste des Fünf-Sterne-Hotels Hilton Park Lane nicht einmal unter Folter zugeben.
Wir sind nach Mayfair gekommen, um eine britische Tradition zu testen: den Nachmittagstee. Der Selbstversuch läuft unter erschwerten Bedingungen. Denn das „Podium“-Restaurant bietet nicht nur Tee und die typischen Insel-Butterbrote an, sondern auch ein süßes Vier-Gänge-Menu mit dem Namen „Geständnis eines Schokoholikers“, durch welches wir uns durchprobieren wollen. Dabei stellen wir uns vor, im Buckingham-Palast zu sitzen. Schließlich ist das ein „Royal Afternoon Tea“.
Ich mochte schon immer Tee. In England habe ich gelernt, dass dieses Getränk magische Eigenschaften haben kann, als Trostspender, Gute-Laune-Mittel, Muntermacher oder Konversationshilfe. „Wie immer Ihr Zustand sein mag – alles, was Sie brauchen, ist eine nette Tasse Tee”, schreibt die Sozialanthropologin Kate Fox im Buch “Watching the English“. Sie illustriert die Tee-Liebe ihrer Landsleute mit einem Beispiel: „Der Dritte Weltkrieg bricht aus, ein Atomangriff steht bevor“. Was macht ein Brite? Er sagt: „Ich setz‘ mal einen Tee auf“.
Royal Afternoon tea im Londoner Hilton Park LaneDer „Afternoon tea“ ist die Vollendung dieser Tradition. Er wurde im 19. Jahrhundert von Anna Russell, Herzogin von Bedford, erfunden. Die Adelige hatte einen großen Appetit, weswegen sie es nicht vom Frühstück bis zum Abendessen durchhielt (damals waren nur zwei Mahlzeiten üblich). Also trank sie am Nachmittag Tee mit Sandwiches. Und weil ihr langweilig war, lud sie dazu Freundinnen ein. Anna steckte mit ihrer Idee ganz London an. Bald traf sich die Oberschicht zum geselligen „Low Tea“ um vier Uhr, während die niederen Klassen den „High Tea“ um fünf Uhr bevorzugten. Sie mussten ja vorher noch arbeiten.
Heute haben viele Briten keine Zeit für den „Afternoon tea“. Doch die Queen lässt sich ihr tägliches Teevergnügen nicht nehmen. Und das Zeremoniell mit der dampfenden Tasse ist zurzeit ein Renner in den Hotels, die mit neuen Variationen des alten Brauchs Touristen wie Einheimische anlocken. In London kann man zum Beispiel poetische (mit Lesungen), modische (mit Kuchen in Taschenform) oder männliche (mit Whisky-Eis) Nachmittagstees buchen. Manche sind so populär, dass die Wartezeit zwei Monate beträgt.
Unsere „königliche“ Zuckerorgie beginnt mit der Wahl des Getränks. Meine Frau entscheidet sich für einen grünen Tee mit Orangenblüten. Ich wähle einen seltenen weißen „Silbernadel“-Tee aus China. Ob der schmeckt? „Sie können sonst was Traditionelles nehmen“, beruhigt Ziaul, ein 22-jähriger Einwanderer aus Bangladesch, der uns bedient.
Zum Cupcake schmeckt Assam besser als exotische “Silbernadeln”Das „Podium“ ist halbvoll, gedämpfte Musik lädt zum Entspannen ein. Ziaul stellt ein dreistöckiges Gestell mit zwei Dutzend süßer Teilchen auf den Tisch. Es geht los. Die Scones (Teebrötchen) sind Pflicht bei jedem „Afternoon tea“. Im Hilton werden sie mit Schokopaste und Sahne serviert. Exzellent! Danach fallen wir über die bunten Cupcakes, eine Sachertorte und einen zuckersüßen Battenberg-Kuchen her. Mein Silbernadel-Tee riecht und schmeckt nach chinesischen Käsefüßen, darum bitte ich um einen Ersatz. Ziaul lächelt verständnisvoll und serviert eine bodenständige Assam-Ceylon-Mischung.
Nach einer Stunde sind wir pappsatt. Meine Frau starrt widerwillig die letzte Makrone an, ich würge ein Himbeer-Marshmallow-Törtchen hinunter. Danach zahlen wir und gehen. In der Lobby holt uns Ziaul mit einer Tüte ein, dort liegt der essbare „Teller“, auf dem unsere Kuchen aufgetürmt waren. Ein Andenken aus einem Kilo Schokolade. Mir wird übel bei dem Anblick. Zu Hause muss ich erstmal meinen Magen mit Kamilletee aus der Apotheke beruhigen.