Statue der “Lady Justice” über dem Kriminalgericht Old Bailey in London. Auch sie ist machtlos gegen die Kämpfer um die “Redefreiheit” im Netz, die den britischen Prominenten kein
Privatleben mehr gönnen. Fotos: alm
Von allen bösen Bankern ist er der schlimmste: Fred Goodwin, 52, Ex-Vorstandschef der Royal
Bank of Scotland (RBS). Eigentlich müsste man Sir Fred sagen, aber diese Anrede benutzt wohl nur die Queen, die den Schotten 2004 für mysteriöse „Verdienste im Bankwesen“ zum Ritter geschlagen hat. Alle anderen nennen den skrupellosen Rationalisierer lieber „Fred the Shred“ (Schredder-Fred), seit er bei der Fusion der RBS mit der NatWest vor elf Jahren nicht weniger als 18 000 Mitarbeiter feuern ließ. Vielleicht hätten die Briten dem stillen Oldtimer-Fan eines Tages diese unsoziale Maßnahme verziehen. Doch Goodwin hat 2008 als RBS-Chef die fünftgrößte Bank der Welt ruiniert, die nur mit Steuergeldern gerettet werden konnte.
20 Milliarden Pfund haben die Inselbewohner für die Fehler des „Schredders“ bezahlt. Besonders sauer waren sie, als sich der wohlhabende Finanzmann nach dem Fiasko mit einer lebenslangen Jahrespension von 850 000 Euro aus dem Vorstand verabschieden wollte. Die Zeitungen beschimpften den gierigen Goodwin als den “schlechtesten Banker der Welt”, jemand zerkratzte sein Auto und schmiss die Fenster seines Hauses ein. Spätestens dann muss die Queen diesen Rittertitel bereut haben. Nach dem Sturm der Entrüstung war es eine Weile still um den Versager gewesen. Kürzlich meldete er sich mit einem Knall zurück.
„Fred the Shred“ heißt jetzt „Fred the Bed“. Der Grund: Goodwin soll vor dem RBS-Kollaps trotz der strikten Verhaltensregeln bei der Bank eine heimliche Liebesbeziehung mit einer „hochrangigen Angestellten“ geführt haben. Nach Meinung mancher Experten könnte diese Sexaffäre manche wichtigen Entscheidungen des Vorstandschefs „negativ beeinflusst“ und die Steuerzahler zusätzlich geschädigt haben. “Sein Land verraten, seine Ehefrau verraten“, titelte boshaft ein Blatt. Aus Angst um seine Reputation hatte der „Betten-Fred“ frühzeitig nicht nur eine gerichtliche Verfügung (Injunction) gegen solche Berichte erwirkt, sondern auch eine „Superverfügung“ (Superinjunction). Dieser juristische Maulkorb verbietet es den Medien, auch nur anzudeuten, dass eine Person im Zusammenhang mit irgendeinem Skandal vor Gericht ihre Privatsphäre schützen lässt. Im Fall von Goodwin war die “Superinjunction” besonders drakonisch (und absurd): Der Ex-Banker durfte nach dem Willen des Gerichts in den Zeitungen nicht einmal mehr “Banker” genannt werden.
Die Royal Courts of Justice in der City of London. Es wird erwartet, dass das Gericht bald die
strikten Regeln bei den britischen “Superinjunctions” lockert
Die Briten hätten womöglich niemals etwas über das Liebesleben ihres Lieblings-Buhmanns erfahren, wenn nicht ausgerechnet ein Lord in einer Parlamentsdebatte die Justiz für die Vertuschung der Affäre des Ehebrechers öffentlich gerügt hätte. Angesichts des folgenschweren RBS-Debakels sei es im Interesse der Steuerzahler zu erfahren, was den „Betten-Fred“ in der heißen Zeit der Finanzkrise beschäftigt habe, argumentierte Lord Stoneham. Binnen Stunden nach diesem Einwand hob der zuständige Richter die strikten Auflagen für die Berichterstattung auf. Ein Seufzer der Erleichterung ging durch den britischen Blätterwald: Nicht nur, weil die Zeitungen dem Antihelden Goodwin gerne wieder eins auswischen wollen. Die Kritik von Lord Stoneham läutet einen Krieg der Medien gegen die „Superknebelung“ durch die Prominenten ein, die sie zunehmend auf die Palme bringt.
Die 2002 eingeführten „Superinjunctions“ waren früher die Ausnahme, heute sollen jedoch Hunderte davon in Kraft sein. Tendenz: steigend. Am lautesten schimpfen über die verschlossenen Stars die Boulevardblätter, denen jede Menge Tratsch entgeht. Sie bekamen zuletzt Schützenhilfe vom sozialen Netzwerk Twitter: Manche seiner Mitglieder haben damit begonnen, die geheim gehaltenen Namen der Reichen und Schönen in Kurzmeldungen zu verbreiten. Mehr als 100 000 Menschen sorgen mittlerweile bei diesem Partisanenkrieg gegen die Justiz dafür, dass das
verbotene Klatsch-Tsunami im Netz nie zum Stillstand kommt. Inzwischen haben aber auch die Richter eingesehen, dass sie gegen das Internet machtlos sind. Die Knebel-Regeln sollen womöglich bald gelockert werden. Das bedeutet: Die Briten könnten endlich erfahren, welcher „weltberühmter“ Filmstar mit dem Top-Fußballer XY eine Prostituierte teilt und welcher Starkoch seine weiblichen Angestellten belästigt. Ob es denn so wichtig ist, das ist eine andere Frage.
P.S. Was die Presse nicht darf, ist für die britischen Abgeordneten kein Problem: Ein Parlamentarier nutzte heute das antike Recht auf “absolute Redefreiheit” und stellte bei einer Debatte über die “Superinjunctions” im Unterhaus einen berühmten englischen Fußballer bloß, der seine Frau mehrere Monate lang mit dem Big-Brother-Sternchen Imogen Thomas betrogen hat. Der Star hatte erfolglos versucht, die Affäre per Gerichtsbeschluss geheim zu halten. Seit Tagen pfiffen jedoch die Spatzen von den Londoner Dächern seinen Namen.