Nein, der verrückte Mr. Christmas wohnt nicht hier. Doch dieses leuchtende Haus in Südlondon wird dem Weihnachtsmann bestimmt gut gefallen. Alle Fotos: Alexei MakartsevEs ist stiller geworden um Mr. Christmas. Nein, ich meine nicht den Weihnachtsmann. Mr. Christmas, das ist der 44 Jahre alte britische Elektriker Andy Parks, der seit dem 13. Juli 1993 jeden Tag Weihnachten feiert. Täglich zum Mittagessen Truthahn mit Kartoffeln. Zum Nachtisch die zuckersüßen „mince pies“. Und als Krönung das Video von der Weihnachtsansprache der Queen, der Andy mit Champagner zuprostet. 14 Jahre lang. Da wird man doch bekloppt. Und fett. Der Mann hat zum Schluss 125 Kilogramm gewogen. Das war aber noch seine geringste Sorge. Andy hat 37 neue elektrische Herde kaufen müssen, weil sie mit dem Weihnachtsbraten zusammen so oft durchschmorten.
Der alleine lebende Exzentriker, der sich selbst 235 206 Weihnachtskarten schrieb und der 204 400 „Christmas Cracker“ (Knallbonbons) hat krachen lassen, war ein gefundenes Fressen für die britischen Journalisten, ehe die Finanzkrise ausbrach und Andy buchstäblich den Gürtel enger schnallen musste. Er habe 20 Kilo abgenommen, sagte vor ein paar Tagen der geschiedene Elektriker den Reportern. Sie glaubten ihren Ohren nicht. Ja doch, sagte geduldig Andy. Die Rezession. Der sparsame Mr. Christmas gibt nicht länger 11000 Pfund (13000 Euro) im Jahr für sein verrücktes Hobby aus, sondern 5000. Aus dem täglichen Truthahn ist ein Truthähnchen geworden. Die Queen gibt es nach wie vor punkt 15 Uhr, doch der Champagnerkorken knallt jetzt nur noch Montags, Mittwochs und Freitags in die Decke des kleinen Hauses am Stadtrand von Melksham. „Ich sehe besser aus und fühle mich besser“, freut sich der auf 101 Kilo abgemagerte Park.
Seltsamerweise hat der Engländer gerade sein eigenes „Weihnachtsbegräbnis“ geplant: Für den Fall, dass er an einem Truthahn-Knochen im Hals erstickt oder bei der Installation des 38. Herds von einem Schlag getroffen wird, hat Andy eine 80 000 Euro teure Bestattungs-Show mit 200 Gästen in „Santa“-Kostümen bestellt, die erst die Ansprache der Queen in einem riesigen Plasmafernseher schauen und dann seinen Sarg bis zum Rand mit Rosenkohl und Christmas Pudding füllen sollen. Weihnachtliche Grabesstimmung, warum auch nicht. Für viele Briten ist die schönste Zeit des Jahres ohnehin eine todernste Angelegenheit. „Heiligabend ist etwa so schlimm wie der Zahnarztbesuch“, gestand mir mal ein englischer Bekannter. „Wobei du beim Zahnarzt viel schneller durch bist und sie dir im Mund alles betäuben können“.
Weihnachtlich geschmückte Regent Street in London Was genau passiert in den englischen Wohnstuben am 25. Dezember? Dank einer Umfrage eines Käseherstellers wissen wir es jetzt bis auf die Minute genau. Ein Durchschnittsbrite wacht um 7.55 Uhr auf und schreitet 24 Minuten später zum Päckchen verteilen und auspacken. Wehe, ein Wollpulli mit Rentiermuster liegt unterm Tannenbaum. Oder eine Kehrschaufel. Die Nummer drei in der Rangliste der unbeliebtesten Gaben sind die Wintersocken. Ging das Geschenk voll daneben? Um 8.39 Uhr schnell die erste Schokoladentafel verzehren, denn Kakao macht glücklich. Nach dem Bescherungs-Schock folgt das Frühstück um 9.02 Uhr. Wer jetzt die Kalorienbombe „Great British Breakfast“ (Eier, Speck, Toast, Bohnen, Würstchen, Tomaten, Pilze und „black pudding“) genießen will, der muss sich beeilen.
Denn um 9.58 Uhr gibt es den ersten Familienstreit, bei dem sich die Erschöpfung vom Schnäppchen-Shopping in den Tagen davor mit der Enttäuschung über falsch gewählte BH-Größen und MP3-Player mischt. Die Meinungsunterschiede beim festlichen Fernsehprogramm geben manchen Briten den Rest. Und dann noch diese Kinder! Sie lassen tatsächlich überall Fetzen vom Geschenkpapier liegen. Um 11.07 Uhr werden die Kids ausgeschimpft und auf ihre Zimmer geschickt. Um 11.49 Uhr tut es den Eltern wieder leid, weswegen sie zum ersten Alkoholgetränk des Tages greifen, um ihre blank liegenden Nerven zu beruhigen. Um 15.24 Uhr sitzen acht von zehn Familien wieder versöhnt am Mittagstisch vor dem dampfenden Truthahn. Um 16.59 Uhr nicken die erschöpften Vater ein, doch sie werden schon um 17.46 Uhr von den Kindern geweckt: Zeit für ein gemeinsames Brettspiel.
Der große Tag endet für den Durchschnittsbriten um 23.39 Uhr. Halt, wir haben in diesem Ablauf einen vergessen, ohne den sich viele Menschen Weihnachten gar nicht vorstellen können. Zwar wohnt der Bärtige im roten Mantel nicht in Großbritannien. Doch „Father Christmas“ hat hier genau so viel zu tun wie in Kanada, Russland oder Deutschland. Ein mathematikbesessener Redakteur der Zeitung „Daily Telegraph“ hat jetzt diese gewaltige Arbeitsleistung erstmals exakt berechnet. Wir sollten vor dem fleißigen Weihnachtsmann den Hut ziehen, denn er hat den stressigsten Job der Welt. Allerdings soll sein Alkoholkonsum höchst bedenklich sein. Das müsst ihr aber bitte den Kindern nicht erzählen.
Von wegen Schnee und Sonne! Londoner Weihnachtswetter-2008 war geisterhaft-neblig Hier also die Weihnachtsmann-Statistiken: Sechs Milliarden Menschen leben auf unserem Planeten, davon sind etwa zwei Milliarden im Kindesalter. Die Hindus, Muslime (und alle anderen, die keinen Weihnachtsmann kennen) nicht mitgerechnet, sind das immer noch rund 700 Millionen Kinder, die in etwa 233 Millionen Haushalten leben. Wären diese nun gleichmäßig auf der Erdoberfläche verteilt, müsste der Weihnachtsmann alle 1,47 Kilometer anhalten, um Geschenke abzuladen. Der Herr der Kinderträume muss an einem Tag insgesamt 342 510 000 Kilometer in seinem Schlitten mit Turbo-Rentierantrieb zurücklegen, was eine Reisegeschwindigkeit von 2 880 Kilometern pro Sekunde erfordert. Ich wusste es doch: Der Weihnachtsmann ist schneller als jede Rakete!
Der “Daily Telegraph” glaubt, dass Santa Claus im Schnitt einen „mince pie“ und 50 Gramm Sherry pro Haushalt als Gegenleistung für seine harte Arbeit bekommt. Macht zusammen 71 764 000 000 Kalorien. Dass der nicht aus allen Nähten platzt! Noch besorgniserregender ist jedoch die tägliche Alkoholdosis des flinken Großväterchens: Sie übersteige die täglich empfohlene Menge um 58 250 000 Mal, schreibt die Zeitung. Wie gut, dass es im Himmel keine Polizei gibt, die dem Weihnachtsmann seinen Führerschein wegnehmen könnte. Denn dann hätten wir ein Problem mit Kindergeschenken. Andererseits: Dann würden weniger Papierfetzen um den Tannenbaum herum verstreut liegen. Und der Familienstreit um 11.07 Uhr hätte sich vielleicht erübrigt…