Briten stehen auf französische Autos. Vor allem wenn sie einen Spoiler haben„Wir fahren nach Silverstone“, sage ich. „O nein“, sagt meine Frau, die auf einen Familienpicknick
an einer malerischen englischen Burgruine gehofft hat. „Hurra, Autorennen“, jubelt mein Sohn, nachdem ich mit seinem roten „Flitzi“-Spielzeugauto die Fahrtechnik bei Tempo 300 auf einer kurvenreichen Straße simuliert habe. Der Kleine denkt, dass sein Papa selbst am Rennen teilnimmt, aber ich will ihn nicht enttäuschen. Noch nicht. Denn ich brauche Verbündete. „Na gut“, sagt zweifelnd meine Tochter, die einen Kompromiss vorschlägt: Picknick an der Rennbahn. Damit ist es entschieden.
„Ich bin entzückt, Ihnen vier Eintrittskarten für die ,Renault World Series’ zu schicken. Bitte halten Sie diese Tickets fest“, schrieb mir ein Tim Jackson von Renault UK Limited. Tim wäre zufrieden:
Ich halte seine Karten so fest, wie ich nur kann. Denn wir sind Gleichgesinnte. Tim wird einen Renault als Dienstwagen fahren und ich fahre freiwillig einen Renault Megane. Ein junger Südafrikaner hat uns 2006 in einem Londoner Autosalon die Familienkombikutsche mit Rechtslenker angeschwatzt. Den Salon gibt es übrigens nicht mehr: Er ist leider im Wirbel der Finanzkrise eingegangen, noch bevor die Briten die Schrottprämie eingeführt hatten. Wir haben unseren Wagen Mathilda getauft, weil er, das heißt sie, gaanz laaangsam beschleunigt und uns an eine dicke Schildkröte erinnert. Wir haben nie über Mathilda gemeckert (weil eine Schildkröte halt keine Gazelle ist). Nun bedankt sich Renault mit einem markenidentitätsstiftenden PR-Trick, den selbst die Kids durchschauen: „Da werden lauter Familien mit Mathildas sein.
Das wird lustig“.
Es wäre übertrieben, zu sagen, dass die Briten die Franzosen lieben. Aber sie lieben französische Autos. Wegen dieses „Gefühls von Flair“, wie mir mal ein Engländer erklärt hat. Das passt gut zu Silverstone, wo bis 2009 jedes Jahr an drei Grand-Prix-Tagen 2100 Liter Champagner geflossen sind. Silverstones Flair – dazu gehört auch eine Verfolgungsjagd mit Sean Connery alias James
Bond im Aston Martin, die hier mal gedreht wurde. Während ich versuche, mich an den Namen des Schurken aus „Thunderball“ zu erinnern, zieht an uns dröhnend ein Renault vorbei. „Papa, das war keine Mathilda“, protestiert mein Sohn. Da hat er Recht. In Silverstone sehen wir viele Hobby-Rennautos: Spoiler hier, verchromter Auspuff da.
Ihre Besitzer sitzen auf dem Rasen und trinken Bier „oben ohne“. Aber nur Männer. „Interessant“, sagt meine Tochter, als sie mit stählernen Ringen durchgestochene, behaarte Macho-Brüste sieht. Ich will die Kinder über Piercing aufklären, doch die Erklärungen gehen im Lärm der Formel-3,5-Motoren unter. Die nächsten 30 Minuten halten sich drei der vier Makartsevs mit beiden Händen die Ohren fest zu. In den Pausen, wenn die Autos hinter der Luffield-Kurve verschwinden, höre ich einen englischen Ansager sich mit französischen Namen abmühen: Marsoin und Moreau.
Einer heißt Baguette, wie lustig.
„Das reicht“, lese ich auf den Lippen meiner Frau. Baguette wird Nummer 16, ein lausiger Verlierer. Mein Sohn will bleiben. „Papa, da fahren viele Mathildas“, sagt er ungläubig. Tatsächlich: Wir sehen ein Dutzend Meganes, doch anders als mein Auto scheinen alle einen Raketenantrieb zu haben. Als das Dröhnen in der Ferne verhallt, drehe ich mich von der Rennstrecke weg. Makartsev Junior
steht neben mir. Doch der Rest der Familie ist schon am Ausgang.
„Kannst du auch so schnell fahren?“ fragt meine Tochter auf dem Heimweg. „Das nächste Mal suche ich das Ausflugsziel aus“, sagt meine Frau. "Schade, dass niemand zusammengestoßen ist", bedauert mein Sohn. Abends finde ich bei dem kleinen Rennfahrer den roten „Flitzi“ im Bett. Der Junge lächelt glücklich im Schlaf. Es hat sich gelohnt.
