Agententraining mit gelben Gummipistolen in der “Spy Academy”. Fotos: almEine Maschinengewehrsalve von rechts, und obwohl ich das Pfeifen der unsichtbaren Kugeln nicht hören kann, treffen sie meinen Helm, der wie verrückt zu blinken und zu piepen anfängt. „Gib mir Deckung!“ schreit die rothaarige Helen, die in Richtung Feind vorprescht. Unmöglich. Ich richte mich auf, nur um zu sehen, wie ein Riese mit einem Gewehr auf mich zustürmt. Er hat eine Granate geladen, und ich kann mich gerade noch mit einem Hechtsprung hinter einen Heuballen retten. Das Herz klopft wild. In diesem Augenblick frage ich mich, was ich bei der „Spy Academy“ verloren habe.
Mein Training hat zwei Stunden früher auf einem Feld bei Milton Keynes begonnen. Wie passend. In der benachbarten Spionagezentrale Bletchley Park haben die Briten vor 70 Jahren das „Enigma“-Kriegsrätsel gelöst. Heute will uns eine Firma namens „Spy Games“ auf ihrem Trainingsgelände mit einem Hangar die „notwendigen Fertigkeiten für geheimdienstliche Operationen“ vermitteln. Ich wollte mich fühlen wie Daniel Craig als „Agent 007“, darum lausche ich mit vier Dutzend Briten den Ausführungen von James, der alle in Gruppen „Rot“, „Gelb“ und „Blau“ einteilt. „Es macht Spaß“, verspricht unser Ausbildungschef. „Aber probieren Sie bitte eure neuen Fähigkeiten nicht auf der Straße aus. Das könnte zu Tränen führen“.
Die erste Station der „Blauen“ ist das „Pistolentraining“. Mit der gelben Revolverattrappe aus Hartgummi in den Händen fühle ich mich so albern, wie wenn ich mit einer großen Quietsche-Ente ins Freibad gehen würde. „Vergesst, was ihr im Kino gesehen habt: Alles Quatsch“, sagt Ryan, der uns in den folgenden 30 Minuten allerlei übers Schießen beibringt. Dabei gibt es nützliche Tipps wie: „zieht nicht zu früh, sonst macht sich jemand in die Hose“ und „wenn du das Magazin verlierst, stehst du im Gefecht wie ein Idiot da“. Dann die Prüfung. Der pensionierte Lehrer William fummelt bei einem „Duell“ so lange an seinem Halfter herum, dass Ryan in Lachen ausbricht. „Sorry, Sir“, sagt er sarkastisch, „aber ich habe eben noch zwei Tassen Tee getrunken, ehe ich Sie erschossen habe“.
Die Briten sind verrückt nach der Welt der Schlapphüte. Kaum eine Woche ohne Schlagzeilen über russische Spitzel, im Fernsehen laufen Serien über Spione, es gibt Spionage-Ausstellungen, und in London kann man „Agenten-Touren“ unternehmen. Logisch, dass in der Heimat von James Bond die Geheimdienste ganz offen ihre neuen Mitarbeiter anwerben. Neulich ließ sich die Kryptografiezentrale GCHQ etwas Besonderes einfallen: Sie schaltete im Netz ein Rätsel im „Matrix“-Stil frei, das zu einer Bewerbungsseite führte. Binnen Tagen knackten 50 Hobby-Agenten den komplizierten Code. Manche arbeiten jetzt angeblich für die Regierung Ihrer Majestät.
Ex-Militär Mike kennt sich mit Wanzen ausMike ist ein Ex-Militär, der die Arbeit bei „Spy Games“ viel aufregender findet als seinen früheren Armee-Alltag auf den Falklandinseln. Heute führt er uns in die Kunst der Bespitzelung bei. Auf einem Tisch im Hangar liegen Kugelschreiber mit Kameras und GPS-Sender. Mike hält er ein verwanztes Nokia-Handy hoch: „Wofür ist das nützlich?“ „Na klar“, lacht Laura auf. „Um meinen Freund zu überführen, falls er mich betrügt“.
Nach der „Gadget-Station“ übet die „Gruppe Blau“ das Axtwerfen, ehe Colin uns einige grauenhafte Nahkampftechniken lehrt. Knietritte, Ziehen an empfindlichen männlichen Körperteilen, Stiche mit Kugelschreibern, Schläge mit aufgerissenen Bierdosen. „Bitte würgen Sie mich“, bittet der Instruktor den schmächtigen Dave, der eine Sekunde später am Boden liegt. Colin will, dass wir uns aufs Schlimmste vorbereiten. „Früher wurden die gefangenen Spione anständig behandelt“, sagt er grimmig. „Doch heute müsst ihr damit rechnen, gefoltert zu werden, während man euch immer wieder für Propagandavideos filmt“.
Eine Explosion reißt mich aus meinen Gedanken heraus. „Sie können nicht wirklich sterben“, beruhigte die Trainerin Carla zu Beginn der letzten Übung. Sie besteht darin, in einem „Schlachtfeld“ alle gegnerischen Spione abzuknallen. Jeder hat zehn Magazine und zehn Leben, die unsere „Lasergewehre“ abzählen. Wird man getroffen, klingelt man wie ein Wecker. Nein, so habe ich mir das Training von „007“ nicht vorgestellt. Wir greifen aber an, das Sperrfeuer von Frank im Hinterhalt mäht alle fliehenden Feinde nieder, und Carla kürt die „Blauen“ zu den Siegern. Mir bleiben zum Glück noch drei Leben, um neben einer Agentenkarriere noch etwas anderes auszuprobieren.