Alexander Woroschilow löschte 1986 das brennende AKW Tschernobyl.
Er bezahlte für den Einsatz mit seiner Gesundheit. Fotos: Alexei Makartsev Wie fertig müssen sie sein. 50 japanische Spezialisten kämpfen im Atomkraftwerk Fukushima Daichi seit Tagen gegen den drohenden GAU. Die Welt kennt sie als die „Fukushima 50“ – ein mutiges Häufchen von ehemals 750 Mitarbeitern einer großen Atomanlage, die zurückblieben, um das Schlimmste zu verhindern. „Diese Menschen sind die Soldaten an der vordersten Front der Atomindustrie, die viel riskieren“, schrieb am Montag der Londoner „Guardian“. Jeden Tag gab es in Fukushima eine Explosion. Die ganze Welt schaut jetzt auf die notgekühlten Reaktoren, die sich in Aquarien mit Meereswasser verwandelt haben. Ich wüsste gerne mehr über die Männer, die dort Wache halten. Ich weiß aber nur, dass sie am Montag die mehrfache zulässige jährliche Strahlungsdosis erhalten haben sollen. Laut der Internationalen Atombehörde IAEA mussten 23 Arbeiter im AKW dekontaminiert werden.
Das erinnert mich an Tschernobyl. Auch dort mussten 1986 Feuerwehrleute, Soldaten und Ingenieure einen schlimmen Atombrand löschen. Manche dieser mutigen Männer wussten was sie taten. Andere ahnten wenig von der tödlichen Gefahr. Die dritten hatten gar keine andere Wahl, als die Hölle zu betreten, weil sie Militäruniform trugen. Sie hatten es noch viel schwerer als die „Fukuschima 50“. Tschernobyl war ein Himmelfahrtskommando. Entsprechend groß waren die Opfer, die diese „Liquidatoren“ gebracht haben. Trotz der gewaltigen menschlichen Tragödie, die in Russland unvergessen bleibt, schickt Moskau jetzt einige ihrer ehemaligen Tschernobyl-Experten nach Japan, um zu helfen. Ob Alexander mit dabei sein wird? Ich hoffe, nicht.
Ich sprach mit ihm 2005, als ich eine Serie von Reportagen über 20 Jahre Tschernobyl vorbereitet habe. Der ehemalige „Liquidator“ Alexander Woroschilow sah ganz fit aus, doch er war ein kranker Mann – verstrahlt am Reaktorblock 4. Nach unserem Gespräch hatte ich ihn aus den Augen verloren. Heute fand ich heraus, dass er noch am Leben ist - und freute mich sehr darüber, dass Alexander 2010 sogar eine Medaille für seinen heldenhaften Einsatz bekommen hat. Keine Frage, er hat sie verdient. Unten könnt ihr von meiner Begegnung mit diesem Mann lesen. Er wird jetzt genau wie wir mit den „Fukushima 50“ mitfühlen.---------------------------------------------------------------------------------------------------
Die Hölle sah harmlos aus. Wie ein sonniger Sommertag auf dem Lande. Alexander Woroschilow sieht diese Bilder oft in den Träumen: blauer Fluss, Birken am Straßenrand, Staubwolken unter den Rädern der Lastautos, in denen Männer in Militäruniform fahren. Hitze. Weißer Rauch über dem zerstörten Atomreaktor. Die Hölle von Tschernobyl, sie zeigte später ihr wahres Gesicht: das verbrannte Gesicht des zitternden Feuerwehrmannes, der sich übergab. Das blasse Gesicht des jungen Soldaten, der nur noch krächzen konnte. 20 Jahre nach der Katastrophe spürt Alexander wieder die Kopfschmerzen des Tschernobyl-Sommers, er fühlt die Stiche in seinem Herzen. Bevor der 51-Jährige seine Wohnung verlässt, streift er sich ein schwarzes Toupet über die kahle Kopfhaut. Alexander ist froh, dass er lebt. Wie lange noch, daran denkt er lieber nicht. Andere hatten weniger Glück. Von den 22000 „Liquidatoren“ im Rostow-Gebiet sind bis heute 2000 gestorben.
Die Sowjetunion hatte in Tschernobyl etwa 800 000 Helfer mobilisiert, um die Folgen des GAU zu beseitigen. Offiziell starben 50 von ihnen an den Folgen des Einsatzes in der Atomruine. Inoffizielle Schätzungen gehen von 60 000 bis 100 000 toten Liquidatoren aus. Die Überlebenden leiden an Krebs und anderen Krankheiten. Die Helden von Tschernobyl, die ihre Gesundheit geopfert haben, um den strahlenden Reaktor in einem Betonsarkophag zu verschließen, wurden vom Staat belogen und betrogen. Um die ihnen zustehenden Invalidenrenten zu bekommen, haben sie gehungert und vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg geklagt. Alexander Woroschilow unterrichtet Deutsch in einer Schule, als der Einsatzbefehl nach Tschernobyl kommt. Der 31-jährige Lehrer weiß nicht, was ihn erwartet. „Niemand sagte, wohin es geht“, erinnert er sich. In einer Militärkaserne in Rostow-am-Don hören die Männer erstmals von der Katastrophe. Manche wollen sofort hin – aus Patriotismus oder in Erwartung der versprochenen fünffachen Löhne. Andere sind entsetzt. Ein Mann versucht, die anderen von der Gefährlichkeit der Mission zu überzeugen. Er spricht vom sicheren Tod. „Die Unzufriedenen wurden vor ein Militärgericht gestellt, der sie zu sechs Jahren Lagerhaft verurteilt hat“, erzählt Alexander. „Da sagten wir uns: Bevor wir im Knast landen, fahren wir lieber für ein paar Wochen hin“.
Wegen der Strahlungsschäden muss Alexandereine Perücke tragen Es werden sieben Monate. Am Reaktor sieht Alexander, wie Wehrpflichtige in Gasmasken radioaktives Grafit vom Reaktordach in den glühenden Schlund hinabwerfen. Die jungen Männer ersetzen Maschinen, die ausgefallen sind. Keiner der „Bioroboter“ ist gegen die Strahlung ausreichend geschützt. Nur wenige Minuten dürfen sie sich auf dem Dach aufhalten, für die meisten reicht das, um schwere Schäden davonzutragen. Die Katastrophenhelfer geben alles. Viele arbeiten 18 oder gar 24 Stunden am Stück am Reaktor. Auf dem Papier dauern die längsten Arbeitseinsätze jedoch immer nur acht Stunden. Zu hohe Strahlungsdosen werden in den Dokumenten nach unten korrigiert.
Auch Woroschilow wird für Aufräumarbeiten auf dem Dach eingeteilt. Im November ist der Sarkophag fertig, wenig später darf der Lehrer endlich heim. „Vor der Rückkehr lebten wir noch einige Zeit in Kasernen. Niemand gab uns saubere Uniform, also mussten wir unsere verschmutzen Klamotten tragen“, erinnert er sich. Zu Hause sind Alexanders Blutwerte so schlecht, dass er mit dem baldigen Tod rechnet. „Ich habe nur deswegen überlebt, weil unter meinen früheren Schülern tolle Ärzte waren, die mir helfen konnten“, sagt er heute.
Nach der vorzeitigen Pensionierung bemüht sich der frühere Lehrer um Anerkennung seiner strahlungsbedingten Berufsunfähigkeit. Vergebens: Für den Sowjetstaat existierten die Liquidatoren nicht. „Mehr als einmal habe ich damals an Selbstmord gedacht“, gesteht Alexander. Erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion bekam er eine kleine Rente. Sie reicht kaum zum Leben.