Ein Jahr nach der Geiseltragödie in der Schule von Beslan
erinnern Einschußlöcher in der Wand an die vielen toten KinderIch hätte diese Pressemitteilung wegklicken sollen. Doch ich habe sie gelesen, und jetzt geht mir ein düsterer Gedanke nicht aus dem Kopf. Es scheint alles umsonst zu sein - alles, was wir unternehmen, um den Terrorismus loszuwerden. Wir fühlen uns heute sicher. Doch morgen kehrt die islamistische Gewalt wie ein Bumerang zu uns zurück.
Ich habe heute einen Bericht über Afghanistan geschrieben. 9000 britische Militärs kämpfen dort gegen die Taliban und die Al Qaida. Jetzt schickt Premierminister Gordon Brown 500 zusätzliche Soldaten hin. Brown geht ein Risiko ein, weil der Armee Ressourcen fehlen. Seit Monaten schrauben Techniker an sechs alten britischen Kampfhubschraubern, um sie für den Krieg fit zu machen. Die Second-Hand-Technik hätte schon längst an der Front sein müssen. Auch die britischen Panzerfahrzeuge taugen nicht viel. Außer der Amerikaner verliert derzeit kein Land so viele Soldaten am Hindukusch wie das Königreich (bislang 221). Brown weiß, dass viele Familien ihn für die Truppenaufstockung hassen werden: Der Krieg ist ja alles andere als populär auf der Insel. Doch er kann vermutlich nicht anders, weil auch die Generäle in London jetzt die Politiker hassen, die aus ihrer Sicht den Krieg halbherzig führen: Ein Drittel Offensive hier, ein halber Angriff dort. Aber bitte risikofrei und ohne zusätzlichen Aufwand. Ich verstehe ja die politischen Nöte Browns, nur nehme ich der Regierung die Argumentation nicht ab, mit der sie die Wähler beschwichtigen wollen. „Wir kämpfen dort“, sagen Politiker in London, „damit es euch hier besser geht“. In Browns eigenen Worten: „Großbritannien wird für den Frieden in Afghanistan sorgen..., um sicherzugehen, dass der Terrorismus nicht in unsere Straßen zurückkehrt“. So ähnlich äußerte sich auch der Tory-Chef David Cameron.
Ich hatte schon immer Zweifel an dieser Gleichung (Militärische Opfer in der Ferne = Frieden zu Hause). Jetzt glaube ich noch weniger daran. Denn zwei britische Forscher haben bewiesen, dass der "Krieg gegen den Terror" unsere Gesellschaften nicht sicherer macht. Im Gegenteil, schreiben Professor Eric Neumayer von der LSE und Thomas Plumper von der Uni Essex: Dieser Krieg werde „voraussichtlich die Gefahr des islamischen Terrorismus gegen den Westen erhöhen“. Beide Experten wagen diese Prognose, nachdem sie zahlreiche Anschläge weltweit von 1969 bis 2005 analysiert haben und dabei herausgefunden haben, dass die populäre These Samuel Huntingtons vom „Kampf der Zivilisationen“ ein Quatsch ist.
Ich selbst war einmal schwer beeindruckt von Huntington. Nur bemerken jedoch beide Briten treffend, dass die islamistischen Terroristen uns alle als Ziele ausgesucht haben, weniger, weil sie unsere Zivilisation hassen, sondern “wegen der westlichen Einmischung in die Angelegenheiten der islamischen Staaten“, die der Westen als Bollwerk gegen den religiösen Hass aufbaut. Mit anderen Worten: Wir finanzieren, stabilisieren und stärken die Regimes in Ägypten, Pakistan, Saudi-Arabien, Afghanistan und Irak, um die Extremisten von der Macht fernzuhalten – dafür bestrafen sie uns. Die Bilanz der Studie klingt frustrierend: „Der Westen kann nicht gewinnen. Wenn wir uns zurückziehen, werden die terroristischen Anführer ihren Sieg feiern und die pro-westlichen Regierungen stürzen”. Andererseits werde aber die Weiterführung des Kriegs die islamistischen Attacken verschärfen. Neumayer und Plumper schließen: „Sofern unser Krieg nicht zur Vernichtung der Terrorgruppen führt (was unwahrscheinlich ist), wird er die Terrorgefahr erhöhen“. Vielleicht wissen das auch Brown und Obama. Doch sie können sich keine Verhandlungen mit den Taliban erlauben. Noch nicht. Darum werden wir in den nächsten Monaten (Jahren?) einen Kreislauf der Gewalt erleben.
In Moskau habe ich lange mit der Terrorgefahr gelebt. Die "Schwarzen Witwen" und sonstige Terroristen haben Russland seit 1999 oft angegriffen. Man konnte nach dem Einmarsch in Tschetschenien in keinem Cafe, Schwimmbad, Kino oder U-Bahn der Hauptstadt sicher sein. Über den Horror der Bombenattacken berichtet zu haben, gehört zu den schlimmsten Erfahrungen meiner journalistischen Karriere. Als Reporter in der zerbombten Stadt Grosny spürte ich den Tod in den Ruinen der Plattenbauten lauern. In der Schule in Beslan, wo man ein Jahr nach dem furchtbaren Geiseldrama mit Hunderten toten Kindern noch verbranntes Spielzeug und zerfetzte Mathe-Hefte finden konnte, standen mir die Haare zu Berge.
Ich will nicht dieses Gefühl hier in dieser wunderbaren, multikulturellen Stadt haben.
Wahrscheinlich habe ich aber gar keine andere Wahl.